Die kleine Krimi-Tankstelle
Die kleine Krimi-Tankstelle
von Mina Giers
erschienen bei beTHRILLED, dem digitalen Label von Bastei Lübbe
Aller Anfang ist Mord ist der erste Roman der neuen Provinzkrimi-Reihe „Die kleine Krimi-Tankstelle“ von Mina Giers um die frischgebackene Tankstellen-Besitzerin Taissa. Gemeinsam mit ihrem blinden Golden Retriever Lolli stolpert Taissa im ostwestfälischen Bad Bekenborn über die ein oder andere Leiche. Und natürlich lässt sie es sich als erfahrene Krimi-Leserin nicht nehmen, selbst zu ermitteln!
Erhältlich als eBook und Hörbuch.
(Gelesen von der fabelhaften Demet Fey)
Überall, wo es eBooks gibt!
Lernt die Hauptfiguren kennen ...
Taissa Lausen
Die Bibliothekarin hätte es sich niemals träumen lassen, ein Geschäft zu leiten. Doch dann erbt sie die kleine Dorftankstelle von ihrer Tante Elli im beschaulichen Bad Bekenborn.
Dummerweise sterben dauernd Menschen, seit sie in dem westfälischen Örtchen lebt ...
Lolli
Taissas bester Freund hat sie natürlich nach Bad Bekenborn begleitet. Er ist zwar blind, doch seine Spürnase ist dafür umso schärfer. Ohne ihn wäre sie einfach in jeder Hinsicht aufgeschmissen - nicht nur, weil er einen guten Grund bietet, sich in fremde Häuser und Gärten zu schleichen.
Vinzent
Taissas wichtigster und anfangs auch einziger Mitarbeiter. Er hält den Laden am Laufen. Wenn er nur nicht in Schwierigkeiten geraten würde ...
Antonius Thule
Der Bauunternehmer ist Taissas bester Kaffeekunde und einer der ersten, der sie in Bad Bekenborn willkommenheißt. Dass er alles über jeden weiß, macht ihn natürlich zu einem wertvollen Berater in den Ermittlungen.
Nora
Die quirlige Notarin mit dem Schokoladenproblem hat immer ein passendes Lied auf den Lippen. Durch ihre offene Art wird sie schnell zu Taissas bester Freundin.
Magnus Esterhasi
Der geheimnisvolle Gedankenleser ist in Bad Bekenborn aufgewachsen, bevor es ihn in die weite Welt verschlagen hat. Nun ist er wieder da ... und er bringt Taissas Leben gehörig durcheinander.
Band eins - Aller Anfang ist Mord
Mit einem Mord hätte Taissa Lausen nun wirklich nicht gerechnet! Hier im beschaulichen Bad Bekenborn in Ostwestfalen. Dabei hat Taissa schon genug um die Ohren. Erst vor kurzem hat sie von ihrer Tante die kleine Tankstelle im Ort geerbt – und prompt sitzt ihr das Finanzamt im Nacken. Und jetzt ist auch noch ihre Nachbarin tot! Ermordet! Der Hauptverdächtige ist ausgerechnet Taissas einziger Mitarbeiter Vinzent, dessen Hilfe sie dringend benötigt, wenn sie die Tankstelle am Laufen halten will. Außerdem könnte Vinzent keiner Fliege etwas zuleide tun, da ist sich Taissa sicher. Mit Mördern kennt sie sich nämlich bestens aus. Schließlich liest sie Lolli, ihrem blinden Golden Retriever, jeden Abend einen Krimi vor! Wäre doch gelacht, wenn sie nicht den wahren Täter finden würde. Gemeinsam mit Lolli begibt sich Taissa auf Spurensuche – und gerät dabei schon bald selbst in Gefahr …
Giftige Weihnachten
Ein Gratis-Kurzkrimi aus Bad Bekenborn!
Giftige Weihnachten
Eine winterliche Geschichte aus Bad Bekenborn
von Mina Giers
»Lolli! Komm her, du Troll, mir ist kalt!« Taissa stampfte von einem Fuß auf den anderen und sah zu, wie ihr Liebling mit Falballa über die Hundewiese tollte.
Das heißt, sie sah es, sobald die weißen Wölkchen, die vor ihrem Gesicht aufstiegen, das wieder möglich machten. Ihre Füße waren so kalt, dass ihre Zehen schmerzten.
»Na, bekommen die beiden Racker einfach nicht genug vom Toben?« Bauer Schultenmeyer war neben sie getreten. Auch sein Blick war auf die beiden Hunde gerichtet. »Sind die anderen schon alle weg?«
Taissa nickte. »Alle schon abgeholt. Naja, bis auf die dicke Bertha, die war gar nicht da. Nur unsere beiden genießen den letzten Tag vor den Weihnachtsfeiertagen noch in vollen Zügen.« Als ahnten sie, dass sie einander ein paar Tage nicht sehen würden.
Wie ein schwarzer Blitz tobte Falballa, die schwarze Dogge vom Schultenmeyer, dicht am Zaun vorbei. Lolli wieselte wie ein blonder Rasenmäherroboter hinterher, die Nase dicht am Boden. Doch dafür, dass er nicht sehen konnte, war er verdammt schnell. Netterweise wartete Falballa immer wieder auf ihn, und jedes Mal begrüßten sie einander, als hätten sie einander wochenlang nicht gesehen.
Eine weiße Flocke landete auf dem Zaunpfahl direkt vor Taissa. Sie schmolz sofort dahin, und Taissas Herz tat es ihr gleich. »Schnee!«
Der Schultenmeyer grinste. »Ach richtig. Letztes Jahr hat es gar nicht geschneit.«
Taissa nickte. Seit sie hier im westfälischen Bad Bekenborn lebte und die alte Dorftankstelle ihrer Tante Elli übernommen hatte, freute sie sich schon die ganze Zeit auf so einen Winter, wie sie ihn aus ihrer Kindheit kannte, wenn sie hier zu Besuch gewesen war. So richtig mit Schlitten fahren, Schneemann bauen und heißem Kakao mit Sahne in den steifgefrorenen Fingern.
Sie bewegte vorsichtig die Hände. Wenigstens den letzten Punkt konnte sie auch ohne Schnee erfüllen.
Doch mit wäre es wesentlich schöner.
Lolli hielt in seiner Verfolgung inne, hockte sich hin und streckte den Kopf in die Luft. Er hechelte, und seine Zunge schlappte aus dem Maul. Ein weißes Flöckchen landete darauf und schmolz sofort dahin, doch er klappte die Schnauze zu und schmatzte, als hätte sie ihm ein Leckerli zugeworfen. Dann hechelte er erfreut weiter und schnappte nach jedem Flöckchen, das ihn berührte. Falballa war vergessen.
Das war ihre Chance. »Hierher, Lolli! Wir machen noch einen schönen Spaziergang um das Buchenwäldchen, und dabei kannst du ganz viele Schneeflocken jagen!«
Sofort wackelten seine Ohren in ihre Richtung. Sein Gehör schien sich schlagartig verbessert zu haben. Er hob seinen Pöter aus dem Gras und wieselte zu ihr an den Zaun. Schnell, bevor er es sich anders überlegte, öffnete sie das Tor und ließ ihn hindurchschlüpfen. Dann legte sie ihm die Leine an.
Auch der Schultenmeyer pfiff nach Falballa, die wie immer sofort gehorchte. Die Dogge konnte nämlich nicht nur fantastisch sehen, sie hörte auch gut. Wie ein Pony trabte sie heran und ließ sich das Geschirr umlegen. Dabei troff Sabber aus ihrem Maul und bildete eine kleine Pfütze im Gras.
»Versprechen Sie ihm lieber nicht zu viel, Taissa«, raunte der Landwirt ihr zu. »Das hört gleich wieder auf. Liegen bleibt das auf keinen Fall.«
Traurig sah Taissa einem weiteren Flöckchen beim Schmelzen zu. Damit würde der Mann vermutlich recht behalten. »Also keine weiße Weihnacht?«
»Vorerst jedenfalls nicht. Vielleicht, wenn die Wetterlage sich noch ändert.« Er richtete prüfend den Blick in den Himmel, dann hob er die Hand zum Abschied und pfiff, und Falballa trabte brav an seine Seite. Die Leine würde sie gar nicht brauchen. Sie drehte sich nur noch einmal zu Lolli um und wuffte tief.
Lolli wuselte um Taissas Beine herum und versuchte gleichzeitig, Schnee zu fangen und Falballa zu verabschieden. Es endete mit einem Leinengewirr, das Taissa beinahe zum Stolpern brachte. »Sitz, du Troll!«
Er gehorchte, sobald seine Freundin außerhalb seines Schnüffelumkreises war, und Taissa konnte beginnen, die Leine zu entwirren. Danach warf sie einen Blick auf die Uhr. Schon fast drei. Sie musste gleich ihren Mitarbeiter Vinzent ablösen, da sich ihr junger Kollege Frederick über Weihnachten in den Skiurlaub im Sauerland verabschiedet hatte. Na, der hatte vermutlich Schnee ohne Ende.
»Also, dann nur eine kurze Runde durch das Dorf, oder was meinst du?« Lolli tapste aufgeregt von einer Pfote auf die andere. Ihm war es egal, solange es nur schneite.
Sie machten sich auf den Weg. Überall in Bad Bekenborn waren die Häuser schon weihnachtlich geschmückt, und es duftete nach frischen Keksen und Tannennadeln. Vor dem Eichenhof stand ein riesiger beleuchteter Weihnachtsbaum und blinkte in allen Farben, und rote Strohsterne hingen in den Fenstern.
Es dämmerte bereits, als Lolli endlich ein Plätzchen für sein Geschäft auserkoren hatte. Ganz entgegen seiner Gewohnheit war es ein Bürgersteig. Normalerweise war er eher schüchtern. Sicher spürte er, dass es schon fast dunkel war und man ihn kaum noch sehen konnte.
Doch musste es ausgerechnet vor dem alten Elektrogeschäft der Krawinkels sein? Taissa seufzte. Natürlich direkt vor der Tür. Gut, dass der Laden geschlossen war, seit der Mann von Frau Krawinkel, der alten Krähe, vor ein paar Jahren gestorben war. Leider bot es jetzt mit dem abblätternden Putz und dem teilweise abgefallenen Schriftzug keinen besonders schönen Anblick. Ein richtiger Schandfleck war das, und von weihnachtlicher Atmosphäre war auch nicht viel zu bemerken.
Taissa kramte in ihrer Handtasche nach einem Hundekotbeutel.
Lolli schnaufte tief, als wäre ihm auch gerade klar geworden, wo sie sich befanden. Doch es war schon zu spät.
Genau in dem Moment, in dem er fertig war, flammten die Strahler über dem mit Zeitungen zugeklebten Schaufenster auf. Lolli saß plötzlich mitten auf dem Präsentierteller. Gut, dass er das nicht bemerkte. Er streckte nur die Hinterbeine und schüttelte sich.
Die Tür ging auf, und Jutta Krawinkel trat heraus. Ihre Miene war hochmütig wie immer. Vermutlich wachte sie mit diesem harten Zug um den Mund schon morgens auf. Taissa würde zu gern glauben, dass hinter der Fassade ein guter Mensch steckte, doch dafür waren sie einfach schon zu oft kollidiert.
Sie räusperte sich vernehmlich. »Frau Lausen!«
Taissa zwang sich zu einem Lächeln. »Liebe Frau Krawinkel«, startete sie eine Freundlichkeitsoffensive. »Wie geht es Ihnen heute? Haben Sie gesehen, es schneit.«
Sie hatte wenig Lust, unter den strengen Augen der alten Krähe Lollis Hinterlassenschaft aufzuklauben. Normalerweise hatte sie damit kein Problem, aber vor dieser Frau fühlte es sich erniedrigend an.
»Sicher nicht genug, um diese Sauerei da zu verdecken!« Frau Krawinkel rümpfte die Nase. »So geht das nicht, Frau Lausen. Immer lassen Sie Ihren Köter hier vor meinen Laden machen. Sie sind dazu verpflichtet, das zu entfernen, wissen Sie das nicht?«
Lolli kniff den Schwanz ein und jaulte. Das Wort Köter mochte er gar nicht. Taissa schnappte nach Luft und wedelte mit der Tüte in der Luft herum.
»Natürlich weiß ich das! Und Lolli macht sonst nie sein Geschäft hier vor ihrem … Geschäft. Er ist nämlich schüchtern. Und ich war gerade dabei, es wegzumachen!« Es kam ihr selbst so vor, als versuchte sie, sich herauszureden. Sie stammelte fast. Aber sie wusste gar nicht, wo sie damit beginnen sollte, sich gegen diese haltlose Behauptung zu wehren. Nichts davon entsprach ja der Realität!
»Na, wegmachen sieht aber anders aus, Frau Lausen.« Die Krawinkel stemmte die Hände in die Hüften und zog die Brauen zusammen. Dadurch wirkte sie noch mehr wie ein fieser Vogel. Wobei, den armen Krähen tat man damit geradezu Unrecht.
»Soll ich mich mit dem Beutel etwa hinter seinen Pöter hocken, Frau Krawinkel?«, rutschte es Taissa heraus. Sofort biss sie sich auf die Zunge. Mit solchen Vorschlägen sollte sie vorsichtig sein.
Doch die Frau schien gar nicht hinzuhören. »Sie wollen mir doch nicht etwa sagen, dass diese Hinterlassenschaft nicht von ihrem Vieh stammt?« sie streckte Taissa ihr Mobiltelefon entgegen.
Lolli japste auf. Vieh konnte er noch weniger leiden als Köter. Tief in ihm grollte es, und Taissa legte ihm beruhigend die Hand auf den Rücken. Sofort beruhigte er sich ein wenig.
Dann beugte Taissa sich vor, bis sie erkennen konnte, was die Krawinkel ihr da zu zeigen versuchte.
Es war ein Foto von einem kleinen Hundehaufen. Er lag auf einem Pflaster, das verflixt so aussah wie das vor Frau Krawinkels Laden. »Das ist doch nicht von Lolli!«, entfuhr es Taissa sofort.
»Das würde ich jetzt auch behaupten!« Die Krawinkel guckte Lolli streng an.
Taissa zeigte auf das frische Häufchen. Jetzt war sie froh, es noch nicht entfernt zu haben. »Sie sehen doch wohl einen Unterschied, oder nicht?« Ihr Finger pikste in die Luft. »Das da ist eine ordentliche Weißwurst. Was Sie da fotografiert haben, ist ja nur ein Nürnberger!« Sie musste schlucken. So viel hatte sie noch nie über Lollis Ausscheidungen gesprochen. Und das wollte sie auch bitte nie wieder tun müssen.
»Pah! Dann hat er eben an dem Tag weniger …«
Taissa hob die Hand. Es reichte ihr allmählich. »Kein Wort mehr, Frau Krawinkel. Ich mache das jetzt weg, wie ich es ohnehin getan hätte, und dann gehen wir unseres Weges!«
So schnell es ging, klaubte sie das Weißwürstchen auf, und mit Lollis Leine in der einen und dem Beutel in der anderen Hand sah sie zu, dass sie Land gewann. Sie würde sich von der alten Krähe doch nicht die Weihnachtsstimmung verderben lassen!
Vor der Tankstelle warf sie den Beutel in die Mülltonne, wo etliche weitere auf ihre Abholung warteten. Von wegen, sie würde Lollis Häufchen einfach liegen lassen. Hier war der Beweis, dass sie das nicht tat!
Immer noch dampfend vor Zorn betrat sie den Shop.
Vinzent sah auf und kratzte sich am Kopf. Aber er kratzte sich ja ständig irgendwo. »Gut, daste kommst, Chefin. Ich muss gleich ma rüber zur Pension. Da kommt heute noch eine Lieferung mit neuen Handtüchern, und der Magnus is ja nich da.«
»Ich weiß«, zischte sie, fing sich dann aber wieder. Vinzent konnte ja nichts dazu, dass sie sich hatte ärgern lassen. »Magnus kommt morgen wieder. Hat er versprochen.« Und wehe, wenn nicht. Auf das erste Weihnachten mit ihm zusammen freute sie sich nämlich auch schon sehr, Schnee hin oder her.
Vinzent stellte den Besen in die Ecke und klopfte sich die Cordhose ab. Wie immer wirkte er leicht staubig. »Okay, dann bis morgen.«
»Bis morgen. Schönen Feierabend.«
Schon war er weg und ließ sie mit ihrem Ärger allein. Lolli watschelte zu seiner nach Lavendel duftenden Decke neben dem Büchertauschregal und ließ sich darauf sinken. Er schnaufte wohlig und leckte an seinem Kauknochen, der immer dort parat lag. Für ihn war die Welt wohl wieder in Ordnung.
Taissa begab sich hinter die Kasse. Der Weg führte sie an der Kuchentheke vorbei, die der Schniedertöns, der Lebensmittelverkäufer von Bad Bekenborn, besonders liebevoll bestückt hat. Jeder Kuchen und jedes Teilchen war mit einem Stern, einem Tannenbaum oder einer Weihnachtsmütze aus Zuckerguss verziert, und eine ganze Armee aus Schokoladenweihnachtsmännern und –frauen bevölkerte die Theke. Keine schlechte Idee. Sofort fühlte sie sich ein wenig besser. Sie schnappte sich den Karton mit der Weihnachtsdeko von Tante Elli, den sie auf dem Dachboden entdeckt hatte, und begann, überall goldene Sterne und Glocken aufzuhängen.
Plötzlich bimmelte hinter ihr ein Glöckchen. Lolli hob den Kopf und hechelte erfreut.
»Na ihr?« Es war Nora, und sie begutachtete bereits ausgiebig die Auslage mit den Schokofiguren.
»Hey! Die sind Deko. Wenigstens bis nach den Feiertagen, dann darfst du dich gern daran vergreifen.« Der Schokosucht ihrer besten Freundin musste Taissa gleich einen Riegel vorschieben, das wusste sie.
Nora nickte und begann, die Melodie von Jingle Bells zu pfeifen. Abrupt stoppte sie. Ach, hast du das von der dicken Bertha schon gehört?«
Taissa sah auf. »Nein, was denn? Ich weiß nur, dass sie heute nicht auf der Hundewiese war, aber ihr Frauchen hat nicht angerufen und Bescheid gesagt.«
Auch Lolli hob den Kopf und wackelte mit den Ohren. Er mochte die träge Hundedame, die immer unter dem Schutzdach lag und laut vor sich hin schnarchte.
Nora war bereits dabei, einen Knusperriegel auszuwickeln. Erst nachdem sie einen großen Bissen abgebissen hatte, antwortete sie kauend. »Dafür hat sie Bobby angerufen.«
»Ach? Und?« In Taissa stieg ein Kribbeln auf. Warum sollte Berthas Frauchen denn Noras Freund, den Dorfpolizisten von Bad Bekenborn informieren?
»Sie musste Bertha in die Notfall-Tierklinik bringen. Sie hat auf einem Spaziergang etwas gefressen, was sie irgendwo im Gebüsch aufgestöbert hat. Sie hatte Durchfall, musste sich dauernd übergeben und sah wohl insgesamt ganz elendig aus.« Nora räusperte sich. »Also, der Hund, nicht das Frauchen.«
Vor Schreck ließ Taissa beinahe die Kugel fallen, die sie gerade an den Auslass des Kaffeeautomaten hängen wollte. Das war wohl ohnehin nicht die beste Idee. »Was? Sie hat etwas gefressen?«
Nora nickte. »Bobby hält schon Ausschau nach vergifteten Hundeködern. Hört man doch immer wieder, dass so ein Hundehasser Tiere vergiften will.«
Lolli jaulte auf, und Taissa konnte es ihm nachfühlen. In ihr stieg auch ein Jaulen auf. »Wer tut nur so etwas?«
Nora zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Aber ihr solltet unbedingt aufpassen und die Augen offen halten.« Mit einem Blick auf Lolli fügte sie hinzu: »Oder die Ohren. Was euch möglich ist.«
Taissa nickte benommen. Ihr war die Lust auf Weihnachtsdeko vergangen.
Am nächsten Morgen hielt Taissa Lolli an der kurzen Leine und ließ ihren Blick immer wieder über den Wegesrand schweifen. Unter niedrigen Büschen wurden solche Köder doch oft versteckt. Sie hatte es nachgelesen und in der Nacht daraufhin kaum ein Auge zugetan. Doch sie konnte nichts entdecken, das verdächtig aussah.
Vielleicht hat die dicke Berta sich nur mal wieder überfressen und Bobby wollte sich wichtigmachen.
Trotzdem raste ihr Herz jedes Mal los, wenn Lolli am Wegesrand etwas erschnüffelte. Sie musste auf seinen Instinkt vertrauen. Immerhin war es Lolli mit der Supernase, um den es hier ging. Und sie konnte ihn nicht die ganze Zeit an sich zerren. Dann hätte sie auch gleich ein paar völlig sichere Runden um die Zapfsäule mit ihm drehen können.
Doch dann schnappte er nach etwas, das im Gebüsch hing, und Taissas Herz hüpfte bis hinauf in ihren Hals. Wenn sie den Mund öffnete, könnte man es sicher dort auf und ab hopsen sehen.
»Aus, Lolli!« Sie schrie beinahe.
Lolli legte den Kopf schräg und wieselte fröhlich schwanzwedelnd zu ihr. Hielt er das etwa für ein Spiel? Dann konnte es schwierig werden, ihm seine Beute zu entreißen.
Doch er legte seinen Fund brav und ganz vorsichtig vor Taissa ab. Das bewahrte diesen leider nicht davor, in zwei Teile zu zerbrechen. Taissa sah entgeistert darauf.
»Ist das ein Weihnachtskeks?«, murmelte sie.
Lolli schnaufte nur. Woher sollte er das auch wissen? Dann hockte er sich brav hin und hechelte ein bisschen.
Auch Taissa ging in die Hocke. Sie legte die beiden Teile des Kekses zusammen. Er schien vollständig zu sein, zum Glück. Lolli inhalierte manche Leckerlis schneller, als sie gucken konnte. Doch was war das für eine seltsame Form? Ein Hundeknochen?
Schnell packte sie den Keks in einen Hundekotbeutel. Wenn es sich hierbei tatsächlich um einen vergifteten Tierköder handelte, musste sie ihn als Beweismittel behandeln. Sie kraulte Lolli ausgiebig hinter den Ohren, dann machte sie Kehrt. Sie hatte zu ermitteln, wer diese Kekse backte. Und ihr Liebling hatte sich eine Belohnung verdient.
In der Tankstelle stand ihr liebster Kaffeekunde, der Bauarbeiter Antonius, bereits an seinem Stammplatz direkt vor dem Kaffeeautomaten. Vinzent war so mit Fegen beschäftig, dass er kaum aufblickte. Deswegen guckte Antonius nur selig schweigend in seine Tasse. Kaum betrat sie den Laden, sah er auf. »Taissa, mein Mädchen! Wie geht es euch beiden denn heute?«
Lolli latschte sofort zu ihm und drückte seinen Kopf gegen dessen Beine. Er hatte seinen Job für heute ja bereits erledigt, und er wollte gekrault werden.
Antonius kam diesem Verlangen natürlich sofort nach, wie es sich für die Menschen in Lollis Umgebung gehörte. Da waren sie alle sehr gut von ihm konditioniert worden. Kraulen für ein entspanntes Brummeln, wer könnte da nein sagen?
»Keine Ahnung«, antwortete sie und warf einen prüfenden Blick auf Lolli. Es schien ihm gut zu gehen. Er hatte wohl wirklich nichts von dem Gift abbekommen, wenn denn überhaupt etwas an dem Keks dran war. Sie packte die Tüte aus und schüttete den Keks vor Antonius auf den Tisch. »Was hältst du davon? Das haben wir oben auf den Feldern am Wegesrand gefunden.«
Schnell berichtete sie von dem Leiden der dicken Bertha.
Antonius runzelte die Stirn. »Oje, das ist ja schrecklich. Wer sollte denn so etwas tun?«
Sie hob die Schultern. Wenn sie das nur wüsste. Wer hasste Hunde so sehr, dass er ihnen solches Leid zufügen wollte? »Wer auch immer es ist, ich werde nicht eher ruhen, bevor ich es nicht herausgefunden habe.«
Sie kam sich ganz heldenhaft vor bei diesen Worten.
Ein Stuhl wurde gerückt, und Taissas Blick fiel in den Anbau mit den Tischen, der ihren kleinen Tankstellenshop um einen Cafébereich erweiterte. Ein paar Damen aus dem Frauenverein saßen an ihrem Lieblingstisch und strickten. Eine von ihnen kam mit ihrer Tasse in der Hand und einem Lächeln auf den Lippen auf sie zu. »Einen Cappuccino ziehe ich mir noch, Frau Lausen!«
Taissa nickte ihr zu und lächelte zurück, und Antonius machte bereitwillig Platz. Während der Kaffeeautomat ratternd seiner Arbeit nachging, lugte die Frau dem Bauarbeiter neugierig über die Schulter.
»Ach«, sagte sie.
»Ach?« Taissa wurde aufmerksam. Galt das »Ach« etwa dem Hundekeks?
Die Frau lächelte. Sie hatte eindeutig Lust dazu, sich zu unterhalten. »Ach, ich dachte nur gerade, diese lustige Keksform kennst du doch.«
Sofort zuckte Taissa zusammen, und sie bemerkte, dass es Antonius auch so ging. Sogar Lolli zuckte, aber vermutlich nur, weil er sich bei ihrem Gezucke erschreckt hatte. »Woher kennen Sie die Form denn?«, fragte sie und hielt den Atem an.
Die Frau runzelte die Stirn. »Jemand aus dem Frauenverein hatte neulich solche Kekse mit. Als wir Weihnachtslieder gesungen haben.«
Taissa hätte die Frau am liebsten am Revers ihrer Jacke gepackt und geschüttelt. »Wissen sie noch, wer das war?«
»Hm …« Sie drehte sich um und machte ein paar Schritte auf den Tisch zu, an dem die anderen saßen. »Mädels, wisst ihr noch, wer diese komischen Kekse mithatte? Angeblich waren es Schleifen, doch sie sahen aus wie Knochen. Wir haben uns doch noch darüber amüsiert.«
Taissa trat neben die Frau. Ihr Blick hing gebannt an den übrigen Anwesenden. In ihr regte sich längst ein Verdacht. Konnte es dieses Mal so einfach sein, die Täterin zu ermitteln?
Auch Antonius war näher gekommen und pustete in seine Tasse.
»Klar«, sagte eine Frau mit grauen Locken, die an einem türkisfarbenen Socken strickte. »Das war doch Jutta. Ich erinnere mich genau an ihren Gesichtsausdruck, als wir alle gelacht haben. Hundekuchen haben wir dazu gesagt!« Sie verzog den Mund, und sofort kicherten die übrigen Damen los.
»Genau«, prustete die erste. »Jutta war es. Das ist unsere Vorsitzende, die Frau …«
»Krawinkel«, vollendete Taissa den Satz. Eine Gänsehaut zog über ihren Nacken hinweg.
Hinter ihr knusperte es, und sie fuhr herum. Gerade sah sie noch, wie Vinzent sich eins der Bruchstücke des Kekses in den Mund schob.
»Nein!«, rief sie und spurtete zu ihm.
»Spuck es aus, Junge!«, rief jetzt auch Antonius.
Lolli bellte, und die anwesenden Damen sahen verdutzt zu, wie Taissa eine Weihnachtsserviette vor Vinzents Mund hielt.
»Los, raus damit!«
Gehorsam spuckte Vinzent die eingespeichelten Überreste in das bunte Papier. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Wat is denn los?«
»Der Keks könnte vergiftet sein. Hast du das nicht mitbekommen?«, fragte Antonius den älteren Mann.
»Nä! Vergiftet? Der is lecker!« Er kratzte sich am Kinn. »Wer macht denn sowatt? Ich hab nichts mitgekricht, ich hab gefegt.« Er sah aus, als würde das in seinem Kopf alles erklären.
Taissa nickte langsam. »Ja, könnte er. Und heute Abend legen Lolli und ich uns auf die Lauer und gucken, ob wir die Täterin nicht auf frischer Tat ertappen können.«
»Das macht ihr nicht allein«, sagte Antonius. »Ich komme mit euch.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich wollte dich bitten, bei Vinzent zu bleiben, falls er Vergiftungssymptome zeigt.« Dann legte sie Lolli die Hand auf den Kopf. »Mit der Krähe werden wir schon fertig.«
Am Abend hockte sich Taissa mit Lolli an ihrer Seite ins Gebüsch auf der anderen Straßenseite von dem Haus der Krawinkel. Von hier hatte sie einen guten Blick auf den alten Laden und auch auf die Einfahrt, die zur Haustür führte.
Es war richtig kalt geworden. Vielleicht hatten sie Glück, und es würde doch noch schneien. Wenn es jetzt anfing, könnte morgen, am Heiligabend, eine dichte Schneedecke den Ort bedecken und alle giftigen Hundeköder verstecken.
Ohne Lolli an ihrer Seite würde sie wohl längst zittern vor Kälte. Doch mit seinem dichten Winterfell fühlte er sich wie eine kleine Heizung an. Sein Atem blies ihr auch warm gegen den Hals.
Eine Nachricht ließ ihr Mobiltelefon vibrieren. Sie kam von Nora. »Die dicke Bertha kommt durch«, stand da.
Erleichterung durchströmte Taissa. Das waren gute Nachrichten. Aber kein Grund, die Aktion abzubrechen.
»Was, wenn wir zu spät dran sind?«, murmelte sie. »Was, wenn sie heute gar keine Köder auslegt?« Die Krawinkel würde das doch wohl kaum tagsüber machen. Was für ein Skandal, wenn sie dabei erwischt werden würde.
Als Taissa sich schon ganz arg nach einem heißen Kakao sehnte, öffnete sich plötzlich die Tür von dem alten Elektronik-Geschäft, und eine Gestalt trat heraus. Sie trug einen dicken roten Mantel mit weißem Fellbesatz und eine rote Mütze. In der Hand hielt sie einen Beutel.
Taissa kniff die Augen zusammen. War das der Weihnachtsmann? Doch als sie genau hinsah, erkannte sie auf dem Beutel den Werbeaufdruck vom Schniedertöns, dem Lebensmittelladen. Das weiße Fell war ein Schal, und die Mütze und der Mantel waren eher pink als rot.
Die Gestalt schlich den Gehweg entlang und schlug dann den Weg ein, der vom Dorf aus auf die Felder führte.
Taissa erhob sich so leise wie möglich. »Na komm, du Troll. Verfolgen wir mal diese unheimliche Weihnachtsfrau.«
Er schlich leise wie ein Panter neben ihr her. Sie hielten gerade so viel Abstand, dass sie die Frau nicht aus den Augen verloren. Sie schien sie nicht zu bemerken.
Wenn sie doch nur endlich einen der Köder auslegen würde, damit Taissa sie erwischen, Bobby anrufen und sich endlich einen heißen Kakao machen konnte. Mit einem Sahnehäubchen oben drauf. Wenn es schon keinen Schnee gab, dann wollte sie wenigstens Sahne.
Schließlich, als sie beinahe schon das Buchenwäldchen erreicht hatten, blieb die Weihnachtsfrau mit den vergifteten Geschenken stehen. Sie nahm etwas aus ihrem Beutel und bückte sich dann, um es an einem niedrigen Ast zu befestigen.
Darauf hatte Taissa nur gewartet. Sie ließ ihre Handylampe aufleuchten. »Halt! Keine Bewegung! Ich rufe jetzt die Polizei!«
Die Gestalt verharrte tatsächlich. Ihr Kopf fuhr zu Taissa und Lolli herum. Es war Jutta Krawinkel, wie vermutet, und sie starrte ihnen entgegen wie ein dickes Kind mit den Fingern in der Plätzchendose. In ihrer Hand hielt sie einen Keks in der Form eines kleinen Knochens.
Taissa versuchte, gleichzeitig zu wählen und den Lichtstrahl weiter auf die alte Krähe gerichtet zu halten. Ihre Hand zitterte, und das nicht nur wegen der Kälte.
»Polizei?« Die Stimme der Krawinkel klang schwach. »Wieso denn die Polizei? Ich tue doch nichts Schlimmes.«
»Nichts Schlimmes?« Taissa schnaubte. »Hunde zu vergiften, weil sich einer von ihnen vor ihrem Haus erleichtert und der Besitzer es nicht weggemacht hat, ist schon ziemlich schlimm!«
Die Gesichtszüge der Krawinkel schienen zu zerfließen. »Wie bitte? Vergiften?« Sie starrte auf den Hundekuchen in ihrer Hand. »Aber ich will doch niemanden vergiften. Wie kommen Sie denn nur darauf?«
»Na, weil die dicke Bertha vergiftet in der Notfallklinik liegt und sie hier Hundekuchen verteilen.«
»Die verteile ich doch als kleine Weihnachtsüberraschung! Für die Tiere im Wald, die bei der Kälte kein Futter finden, und natürlich auch für die Hunde, die hier spazieren gehen. Die freuen sich doch immer über einen Snack.« Kraftlos ließ die ältere Frau die Hand sinken. »Weil die anderen meinten, die Kekse sähen aus wie Hundekuchen, habe ich mir gedacht, mache ich halt Hundekuchen.«
»Sie wollen … die Wildtiere füttern?« Taissa war völlig perplex. Mit so viel Tierliebe hatte sie nicht gerechnet. Hatte sie sich etwa in der Krawinkel getäuscht?
Trotzdem blieb noch die dicke Bertha, die irgendetwas auf ihrem Spaziergang gefressen hatte.
»Na, bloß, weil ich keine Häufchen vor meiner Tür finden möchte, hasse ich doch noch lange nicht alle Tiere. Wofür halten sie mich denn?« Sie schnaubte.
Die Frage beantwortete Taissa um des lieben Friedens willen lieber nicht. »Und was ist da bitte schön drin?«
Die Krawinkel legte den Finger an die Lippen, während sie überlegte. »Nur ganz gute Zutaten. Erdnüsse, Haferflocken, Kokosfett, verschiedene Samen und geriebene Karotte.«
Das klang allerdings nicht so, als könnte sie damit jemandem schaden. Eher so, als freuten sich die Eichhörnchen, Vögel und auch Mäuse sehr darüber. Irgendetwas musste jedoch darin verarbeitet sein, was Hunden nicht so gut bekam. »Schokolade?«, fragte sie, einer Eingebung folgend. Vermutlich musste sie an Nora denken und an ihre Schokoladensucht.
»Natürlich nicht!« Die alte Krähe tat entrüstet. »Da weiß doch jeder, dass das nicht gut ist für Hunde.« Sie überlegte einen Moment, dann sagte sie: »Rosinen sind noch drin. Damit sie auch gut schmecken. Die sind immer fast alle weg, wenn ich den Weg am nächsten Tag wieder …«
»Rosinen? Sind Sie wahnsinnig?« Taissa hätte der Frau am liebsten den Keks aus der Hand geschlagen. »Rosinen und Weintrauben können für manche Hunde tödlich sein!«
Die Krawinkel wurde blass. »Das wusste ich nicht! Die Amseln sind ganz verrückt danach.«
Sie sah ehrlich geknickt aus, und Taissa würde sie jetzt am liebsten mal drücken. Na gut, vielleicht würde sie ihr tröstend die Hand auf die Schulter legen. Weiter musste man wirklich nicht gehen.
Sie packte ihr Handy weg. Bobby wurde wohl nicht gebraucht. »Ich schlage vor, wir gehen alle Ihre Verstecke ab und sammeln die Kekse ein, die noch nicht gefressen wurden, damit niemand mehr zu Schaden kommt. Dann bringen wir sie so hoch an, dass nur die Vögel sie erreichen können. Und dann vergessen wir die Sache. Einverstanden?« Gut, dass sie dieses Mal keine Straftat aufklären musste. Das hätte zu Weihnachten auch gar nicht gepasst.
Die Krawinkel nickte, und Seite an Seite liefen sie den Weg entlang. Lolli wieselte zwischen ihnen wie der dringend benötigte Puffer.
Schweigend sammelten sie die Leckerlis auf. Und als der letzte in Taissas Hundekotbeutel landete, den sie extra dafür opferte, landete eine Schneeflocke auf dem Weg vor ihr. Und dieses Mal schmolz sie nicht.